Nach plötzlicher Evakuierung wieder im Heiligen Land :Ein Lebacher zwischen Wüsten, Mauern und Heiligen Stätten
Am 23. Dezember war es endlich soweit: Nach drei Monaten in Rom und einer ungewissen Zeit fernab des Nahen Ostens konnte ich zurück nach Jerusalem fliegen. Die Freude war doppelt, denn nicht nur stand mir ein Weihnachten in Bethlehem bevor – ein Ereignis, auf das ich mich seit Beginn meines Aufenthalts gefreut hatte –, sondern auch die Möglichkeit, mein Studienjahr im Heiligen Land endlich fortzusetzen.
Ich bin Teil des 51. Theologischen Studienjahres in Jerusalem, einem einzigartigen, neunmonatigen Programm, das Theologiestudierenden die Möglichkeit bietet, direkt an den Schauplätzen der biblischen Geschichte zu lernen und zu leben. Unsere Gruppe umfasst 16 Studierende aus ganz Deutschland, evangelisch und katholisch, die gemeinsam diese intensive Zeit erleben. Seit August tauchen wir in die kulturelle und religiöse Vielfalt Israels ein, zwischen den historischen Mauern Jerusalems, den Weiten der Wüste und den tragischen Spuren des Nahostkonflikts.
Doch der Herbst brachte eine unerwartete Wende: Im Oktober spitzte sich die Lage in Israel dramatisch zu. Raketenangriffe auf Jerusalem machten den Aufenthalt zu gefährlich, und unsere Gruppe musste das Land verlassen. Mit einem weinenden und einem neugierigen Auge fanden wir uns in Rom wieder, um unser Studium in der Ewigen Stadt fortzusetzen. Diese Wochen dort waren geprägt von besonderen Erfahrungen: Der Nähe zur Weltkirche, Gesprächen mit Synodenteilnehmern und der Begegnung mit Menschen aus aller Welt. Rom hatte viel zu bieten, und doch blieb Jerusalem für mich der eigentliche Mittelpunkt dieses Jahres.
Die Rückkehr ins Heilige Land fühlte sich daher nicht nur wie ein Neuanfang, sondern wie ein Heimkommen an – zu den heiligen Orten, den vertrauten Straßen und einer Stadt, die trotz all ihrer Gegensätze für mich zu einem zweiten Zuhause geworden ist.
Ein anderes Weihnachten
Weihnachten in Jerusalem und Bethlehem zu erleben, ist ein unvergessliches Erlebnis – und doch so anders als in Rom oder Deutschland. Während in Rom der Petersplatz in festlichem Glanz erstrahlte und ich die Krippe und den Christbaum dort noch mit aufstellen sah, gibt es in Jerusalem kaum weihnachtliche Dekoration. Vielmehr prägen die Kerzen des jüdischen Chanukka-Festes die Straßen. Dieses Jahr fiel Chanukka in die Weihnachtszeit, und die jüdische Tradition stand deutlich im Vordergrund. Christen sind in Israel eine kleine Minderheit, etwa 3 % der Bevölkerung. Trotzdem begegnen sie oft großen Herausforderungen. Es gibt Beschmierungen an Kirchenwänden, unfreundliche Blicke und in seltenen Fällen sogar offene Anfeindungen. Und dennoch funktioniert das Zusammenleben an vielen Stellen auch sehr gut.
Unsere Weihnachtsfeier begann mit der Christmette in der Dormitio-Abtei, deren kürzlich renovierter Rundbau im Kerzenschein erstrahlte. Nach der Christmette um 21 Uhr und einer kurzen Pause mit viel Lebkuchen machten wir uns um 1 Uhr mit etwa 70 Pilgerinnen und Pilgern auf den Weg nach Bethlehem. Man könnte sich den Weg romantisch vorstellen– unter einem sternenübersäten Himmel, durch eine verschneite Landschaft. Die Realität war anders: Wir zogen entlang einer Schnellstraße, vorbei an Städten, über den Grenzübergang und entlang der trennenden Grenzmauer. Mit dabei waren auch 104 312 Namen auf einer großen Namensrolle, die wir alle abwechselnd tragen durften. Eine Weihnachtsaktion der Dormitio-Abtei, die die Möglichkeit gibt, jedes Jahr von Jerusalem nach Bethlehem mit zu pilgern.
Um vier Uhr morgens erreichten wir schließlich die Geburtskirche. Der Moment, die Grotte zu berühren, in der Jesus geboren worden sein soll, war eindrücklich. Menschen aus der ganzen Welt waren hier versammelt, und das gemeinsame Gebet erfüllte die Kirche mit einer tiefen Andacht.
Familienzeit und Begegnungen in Bethlehem
Nach Weihnachten besuchten mich meine Mutter und mein Bruder. Es war eine besondere Freude, ihnen die Orte zu zeigen, die mir in den letzten Monaten ans Herz gewachsen sind. Von der Grabeskirche über das Tote Meer bis hin nach Bethlehem – wir erlebten gemeinsam die Höhepunkte der Stadt Jerusalem und Umgebung. In Bethlehem hatten wir eine Begegnung, die uns besonders in Erinnerung blieb. Mehrmals wurden wir von Ladenbesitzern angesprochen, die uns auf einen Kaffee einladen wollten. Schließlich ließen wir uns von einem freundlichen Verkäufer in seinen Olivenholzladen führen. Bei einer Tasse süßem arabischen Kaffee erzählte er uns von seiner Familie. Sein Sohn, ein Zahnarzt, lebt in Deutschland. „Deutschland ist ein starkes und gutes Land“, sagte er. Es war berührend zu hören, wie viel Respekt und Bewunderung Menschen aus anderen Ländern unserem Land entgegenbringen.
Eine Woche Jordanien – Archäologie und Gespräche
Kurz nach dem Besuch meiner Familie begann unser Studienprogramm wieder mit einer Exkursion nach Jordanien. Schon der Grenzübergang war ein Abenteuer: Nach stundenlangem Warten durften wir endlich nach Amman, der Hauptstadt einreisen. Die Stadt überraschte mich mit ihrer Sauberkeit und Modernität. Während der Reise hatten wir immer wieder interessante Begegnungen. An der Grenze kamen wir mit einem Verkäufer ins Gespräch, der uns von seinem Leben in Jordanien erzählte. „Die Wasserknappheit bestimmt alles“, sagte er. „Ohne Wasser können wir nichts machen.“
Ein Höhepunkt der Reise war der Besuch von Petra, der Stadt im Fels. Die gewaltigen Bauwerke und die Geschichte dieses Ortes haben mich tief beeindruckt. Doch es waren nicht nur die archäologischen Stätten, die diese Woche besonders machten, sondern vor allem die Gespräche mit den Einheimischen. Viele von ihnen sprachen über die Herausforderungen des Alltags, die politische Lage und ihre Hoffnungen für die Zukunft.
Am Samstagabend besuchten wir eine Vorabendmesse in einer lebendigen Gemeinde, die von Jesuiten geleitet wird. Die Kirche war voller Menschen aus verschiedenen Nationen, und der kleine Chor, begleitet von einer Gitarre, sorgte für eine ganz andere Atmosphäre als in Deutschland. Es erinnerte mich an einen Flüchtlingsgottesdienst, den ich in Tel Aviv besucht hatte. Die Menschen schöpfen hier spürbar Kraft aus ihrem Glauben – selbst angesichts von Herausforderungen und Nachteilen, die ihr Bekenntnis mit sich bringt.
Zurück in den Alltag
Nach der Reise begann der Vorlesungsalltag wieder. Es war schön, in die vertrauten Räume des „Beth Josef“ zurückzukehren und den Blick auf die Dormitio-Abtei zu genießen. Doch während ich in den Seminaren sitze, wird mir bewusst, wie schnell die Zeit vergeht. Nur noch vier Monate. Mein Studienjahr im Heiligen Land ist nicht nur eine akademische Erfahrung, sondern auch eine Reise zu mir selbst.
Die Begegnungen und Erlebnisse, die ich hier gesammelt habe, prägen mich nachhaltig. Sie zeigen mir, wie wertvoll der Austausch mit anderen Kulturen und Religionen ist – und wie viel wir voneinander lernen können. Ich hoffe, dass ich diesen Geist auch in meine Heimat mitnehmen kann.